Only Friends


„Guten Morgen!“, dröhnt es aus dem Radio. „Wir haben es 6 Uhr und ich schalte jetzt zu meiner Kollegin. Sie wird euch das Wetter für heute, den 24.12. erzählen.“
Wie, heute ist schon Weihnachten, schießt es mir durch den Kopf. Ja, ich gebe nicht viel auf Geburtstage oder Feiertage. Meine Geburtstage ignoriere ich ganz und Feiertage finde ich nur dann schön, wenn man frei hat. Deswegen mag ich Heiligabend auch nicht. Ich muss arbeiten und heute ist das mit Sicherheit kein Vergnügen. Am Supermarkt an der Kasse zu sitzen macht auch so nicht richtig Spaß, doch an Heiligabend kommen sie alle in den Laden geschossen, wie von der Tarantel gestochen, wirbeln den ganzen Supermarkt auf, graben die Regale um und brauchen an der Kasse Stunden, bis sie endlich ihr Kleingeld zusammen haben.
Ich sitze also etwa anderthalb Stunden, nachdem ich aufgestanden bin, an der Kasse und warte darauf, dass Oma Hildegard, oder wie sie auch heißen mag, ihr Kleingeld zusammengekratzt bekommt und ich kassieren kann.
Endlich sie hat es geschafft, noch schnell den Bon ausgehändigt und, oh nein! Ich sehe wie eine Frau, das ganze Fließband mit ihren Artikel schon voll gelegt hat und immer noch Waren in ihrem Korb hat.
Ich ziehe die Eier, das Klopapier und was die Frau noch alles aufs Band gelegt hat über den Laser. In solchen Situationen könnte ich an die Decke gehen. Glaubt die etwas, wir haben bald eine Versorgungskriese?
Hallo, wir haben lediglich nur zwei Feiertage. Aber was soll ich mich aufregen, hilft eh nichts. Während ich die ganzen Artikel einscanne, merke ich wie ich mich immer weiter weg denke.
Ich muss an Peter denken. Er ist groß, fast zwei Köpfe größer. Neben ihm fühle ich mich immer so winzig, aber auch in gewisser Weise beschützt. Dieser Mann ist einfach ein Traum. Die Frisur, wie sie attraktiver nicht sein könnte, ein dunkles Braun, fast schwarz und dann obendrein noch gelockt und seine Augen erst. Die sind sogar farblich mit seinen Haaren abgestimmt.
„Frau Müller, Frau Emily Müller!“, holt mich die Stimme der Frau zurück. Die Leute in der Schlange gucken uns schon ganz merkwürdig an.
„Diese Artikel möchte ich nicht mehr kaufe:“, meckert sie mich an.
„Oh, oh entschuldigen sie bitte“, stottere ich und beginne die falsche Ware wieder auszubuchen. Mir ist die ganze Sache so peinlich, dass ich mich noch kleiner mache, als ich eh schon bin. Fast unmöglich, aber ich glaube fünf, sechs Zentimeter sind das doch noch. Bei meiner Größe von einem Meter fünfzig ist das nicht gerade wenig.
Nachdem ich die Ware ausgebucht habe entschuldige ich mich erneut bei der Frau. Als diese das Geld für ihren Einkauf zusammensucht, fange ich an, meine braunen Haare um meine Finger zu wickeln. Was soll ich sind tun. Das dauert schon seine Weile, bis sie die geforderten 150 Euro mit ihren 10-Euro-Scheinen bezahlt hat. Vor allem, wenn man so ein Mathegenie ist, wie diese Frau.
Aber ich lass die Frau, mal die Frau sein, denn ich bin schon beim nächsten Kunden angekommen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich in fünf Minuten Pause habe. Ich rufe schon einmal Elena aus, damit die mich hier gleich ablösen kann und ich widme mich dann wieder meinem Kunden.
Wie kann man nur solch eine Ähnlichkeit mit einer anderen Person haben?, das ist das erste, was ich denke als ich den jungen Mann ansehe. Er erinnert mich an Peter. Sieht haargenau so aus wie er, nur das er vielleicht nicht so groß ist und ich ihn eben im Supermarkt zum ersten Mal sehe und nicht am Brunnen, so wie ich Peter damals das erste Mal getroffen habe. Mir fällt auf, dass wir uns lange nicht mehr gesehen haben. Als Elena mir auf die Schulter klopft und mich fragt, ob ich den Kunden noch bedienen möchte oder ob sie ihn übernehmen soll, bin ich ihr dankbar dass sie mir die zweite Option auch anbietet. Wir wechseln schnell die Kassen und ich fliehe in die Mittagspause.
Als ich rausgehe, um mir etwas zu Essen zu holen, komme ich an dem Brunnen vorbei, an dem Peter und ich uns das erste Mal begegnet sind. Mir kommen seine Worte wieder in meine Ohren:“Du bist das schönste Mädchen, dass ich je gesehen habe.“ Ich grinse immer noch wie blöd, wenn ich daran denke.
Endlich beim Bäcker angekommen, merke ich, wie wenig Zeit ich nur noch habe.
„Mensch Emily!“, denke ich mir, „du bist doch sonst nicht von der Sorte Mensch die trödelt.“
Aber egal, ich muss mich jetzt beeilen um nicht zu spät zurück zu kommen. Ich kaufe mir schnelle ein Brötchen mit Gouda, ich liebe diesen Käse, und mache mich wieder auf den Rückweg, währen ich das Brötchen verschlinge.
Ich sitze wieder an der Kasse und bediene Leute. Noch anderthalb Stunden. Die Zeit scheint zu schleichen, Wurst, Zeitschriften und anderer Kram, den die Leute kaufen, hilft mir auch nicht dabei die Zeit schneller vergehen zu lassen. Ich rufe Elena aus, damit sie mich wieder ablöst und ich ins Lager gehen kann, zum Artikel aufstocken. Ich habe jetzt nicht den Nerv, noch zwanzig gestressten Mütter, Vätern, Omas oder Opas ihre gewünschte Ware zu verkaufen.
Als ich schon eine längere Zeit ohne aufregende Beschäftigung zu Hause sitze um meinen Feierabend zu genießen, merke ich, wie mich die Langeweile überfällt. Ich hatte den Baum geschmückt, Kerzen angezündet und ein Paar meiner selbstgebackenen Plätzchen beim Kaffee verzehrt. Doch nun? Es ist nicht besonders abwechslungsreich, die gleiche CD mit Weihnachtsliedern zum dritten Mal zu hören, nur habe ich keine andere.
„Ding Dong.“
Ich wundere mich, wer das noch sein könnte. Als ich die Tür öffne, steht der Weihnachtsmann davor. Ich gucke ihn ungläubig an und sage: „Sie müssen sich wohl mit der Hausnummer geirrt haben, ich habe keinen Weihnachtsmann gebucht!“ Für wen den auch, setzte ich in Gedanken hinzu. Der Weihnachtsmann fängt an zu lachen und als er dann auch noch sagt, dass er hier richtig sei, erkenne ich an der Stimme, dass es Peter ist. Ich stimme in sein Lachen ein.
„Du bist doch nicht mehr ganz dicht“, erwidere ich lachend und bitte ihn herein.
Als Peter und ich am Tisch sitzen, fällt mir auf, dass ich gar nichts zu essen habe. Ich spiele schon mit dem Gedanken, noch einmal los zu fahren und uns beiden ein Abendessen zu zaubern, als mir einfällt, dass die Geschäft alle schon zu haben. Ich verwerfe den Gedanken.
Als ich Peter in die Augen schaue, merke ich, dass ihn irgendetwas bedrückt.
„Hey, was ist denn los?“, frage ich ihn vorsichtig.
Ich sehe wie ihm eine Träne übers Gesicht läuft. Und dann fängt er an zu erzählen, von Nadja, wie er sie liebt, was er mit ihr alles erlebt hat, für ein halbes Jahr ist das ziemlich viel. Dass es Liebe auf den ersten Blick war, sie ziemlich schnell in seine Wohnung eingezogen ist und sie sich letztendlich bitterlich gestritten haben.
Ich wusste noch nicht einmal, dass er eine Freundin hat, eher gesagt hatte.
„Die wird schon wieder kommen“, sage ich zuversichtlich um Peter ein bisschen zu trösten, obwohl ich diese Nadja noch nicht einmal kenne.
„Nein, wird sie nicht“, schluchzt Peter. „Wir haben uns so heftig gestritten, sie meinte ich wäre zu Eifersüchtig. Aber das war ich nur weil ich einen Grund hatte und weil ich sie nicht verlieren wollte.“ Er holt einmal tief Luft.
„Ich habe schon länger vermutet, dass sie mich betrügt!“, fügte er noch hinzu. „Und als ich dann Rechnungen“, er putzt sich seine Nase, „von einem Hotel hier in der Nähe in ihrer Manteltasche gefunden habe und sie darauf angesprochen habe ist sie total ausgerastet und wollte zu ihrem Alex gehen, da der lange nicht so Eifersüchtig sei. Aber ich habe doch das Recht Eifersüchtig zu sein, oder?“, ich wollte ihm gerade antworten, als er schon weiter sprach, „Und dann drehte sie sich um, warf noch ein Blick über die Schulter und ging. Hat mich einfach stehen gelassen. Sie ist doch meine Nadja, nicht Alex.“ Er macht eine kurze Pause und scheint zu überlegen. „Aber warum erzähle ich dir das jetzt eigentlich“, setzt er wieder an, „es ist Weihnachten und wir sollten Spaß haben und nicht in Trauer versinken.“ Du versinkst doch in Trauer, nicht ich, denke ich mir sage aber nichts da ich Angst habe, dass Peter in diesem Moment etwas gereizt auf diese Bemerkung reagiert. Er putzt sich erneut die Nase und lächelt dann ein trauriges Lächeln. In diesem Moment wird mir klar, dass wie nur Freunde sind und auch immer nur Freunde bleiben werden.

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